Life is Strange 2 – Eine emotionale Reise zweier Wolfsbrüder

Kevin Krämer
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Life is Strange 2 ist ein in fünf Episoden unterteiltes 3D-Adventure des französischen Entwicklers Dontnod Entertainment, dessen erste Episode am 26. September 2018 vom japanischen Publisher Square Enix für PC und verschiedene Konsolen veröffentlicht wurde. Es ist die Fortsetzung des 2015 erschienenen Life is Strange und nach Life is Strange: Before the Storm sowie The Awesome Adventures of Captain Spirit das vierte Spiel im Life-Is-Strange-Universum. Um die Verwirrung noch komplett zu machen, gibt es zudem auch Life is Strange: True Colors und an einem neuen Ableger wird anscheinend gearbeitet.

Bis auf die fantastischen Abenteuer von Captain Spirit haben wir bereits alle Ableger der Life is Strange-Reihe auf Nintendo Switch und Life is Strange 2 erscheint am 2. Februar 2023. Da wir die Gelegenheit erhielten uns die Umsetzung bereits vorab anzuschauen, möchten wir in diesem Spieletest über unsere Erlebnisse berichten – ohne zu viel zu spoilern.

Ein traumatisches Ereignis erweckt die telekinetischen Kräfte eures jüngeren Bruders Daniel und zwingen euch, von Zuhause wegzulaufen, die Polizei direkt auf den Fersen! Als der sechszehnjährige Sean seid ihr nun allein für Daniels Sicherheit, Unterkunft und Erziehung verantwortlich. Aber wenn jemand in so jungem Alter solch immense Kräfte besitzt, haben Lektionen über Richtig und Falsch dramatische und einschneidende Konsequenzen …

Das von den Jungs selbstgesteckte Ziel ist es, Mexiko zu erreichen, da dies die ehemalige Heimat ihres Vaters war. Die Reise dorthin ist verworren, voller Freude und Gefahr. Fünf Episoden lang durfte ich mich mit den Diaz-Brüdern von Seattle nach Mexiko schlagen. Welche Höhen und Tiefen ich dabei erlebt habe, lest ihr im spoilerfreien Test.

Um den Fazit ein wenig vorweg zu greifen: Wer Life is Strange wegen den vielen Interaktionsmöglichkeiten mochte, wird auch mit Life is Strange 2 seine Freude haben, obwohl dieser Teil hier etwas schwächer ist. Die Geschehnisse sind gut aufgebaut und ebenso die Spielmechanik ist recht simple gehalten, sodass auch Anfänger ohne Probleme diesen Titel spielen können. Ich habe nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist, als ich Sean und Daniel begleitet habe. Ein paar Tage lang habe ich einen Freund besucht, der ebenso gebannt auf den TV-Bildschirm schaute und mich nach einer Pause sogar gebeten hat, ich solle doch bitte noch eben das eine Kapitel zu Ende spielen. Wenn ihr euch auf ein weiteres emotionales Abenteuer einlassen könnt, solltet ihr jetzt unbedingt bis zum Ende weiterlesen!

Wir spielen den amerikanischen Teenager Sean Diaz, der mit seinem jungen Bruder Daniel aus seiner Heimatstadt Seattle fliehen muss. Auf dem Weg müssen wir für Daniel Verantwortung übernehmen: Er beobachtet unsere Taten und nimmt sie sich zum Vorbild. In Sachen Gameplay bleibt Life is Strange 2 wie schon der erste Teil recht simpel gestrickt. Wir führen vor allem Dialoge und erkunden unsere Umgebung. Neu ist, dass wir stets Daniel als zweite Figur dabeihaben und mit ihm interagieren können. Dafür haben wir selbst keine übernatürliche Kraft mehr – die hat diesmal unser Bruder, und ihn steuern wir nicht direkt. Life is Strange 2 spielt im gleichen Universum wie der Vorgänger, das Prequel Before the Storm und die Gratis-Episode The Awesome Adventures of Captain Spirit. Allerdings dreht es sich um eine völlig eigenständige Story ohne direkten Bezug zu Chloe und Max.

Eine (falsche) Entscheidung kann das gesamte Leben verändern

In Life is Strange 2 geht es um mehr als nur Freundschaft. Hier geht es um Familie und Erziehung. Dieser rote Faden zieht sich durch alle Episoden und stellt dabei eine Herausforderung dar, die hart auf den Schultern von Sean Diaz lastet. Nach einem tragischen Unfall in der ersten Episode sieht sich der Schüler gezwungen mit seinem kleinen Bruder Daniel unterzutauchen und quer durch Amerika vor der Polizei zu fliehen.

Von Episode zu Episode können wir miterleben, wie sehr die Jungs leiden – seelisch und körperlich. Die Füße schmerzen, der Kontakt zu Freunden und Familie ist völlig abgeschnitten und manchmal müssen die beiden sogar mit rassistischen Anfeindungen leben, da sie “nicht hier her gehören” und zurück in ihr Land sollten. Etwas das auch hierzulande noch immer viele Einwanderer und deren Kinder tagtäglich erleben. Und als wäre es für Sean nicht schwer genug andauernd für eine Unterkunft und Lebensmittel zu sorgen, muss er sich auch noch um die Erziehung seines enano (Spanisch für Kleiner oder Zwerg/Knirps) kümmern. So gibt es im Verlauf der Geschichte immer wieder mal mehr mal weniger weitreichende Entscheidungen zu treffen, die direkten Einfluss auf Daniels und Seans Charakterentwicklung haben und damit über den finalen Showdown entscheiden.

Am Ende jeder Episode können wir zudem immer die unterschiedlichen Entscheidungen einsehen und – sofern wir mit dem Internet verbunden sind – auch zu wieviel Prozent die anderen Life is Strange 2-Spieler:innen oder unsere Freunde sich für bestimmte Dinge entschieden haben. Das war jedesmal ziemlich spannend und aufschlussreich.

Die Kapitel zwei bis fünf beginnen jeweils mit einer Rückblende, die die bisherigen Ereignisse zusammenfasst, Sean und Daniel werden dabei als graue Wölfe darstellt. Daniel bezeichnet sich mit seinen zunehmend stärker werdenden telekinetischen Kräften nämlich auch gerne als “Superwolf” und fühlt sich vom Leitwolf Sean oftmals zurückgehalten. Als Ersatzvater und Mentor für seinen kleinen Bruder hat dieser es nicht sehr einfach.

In diesem Spiel sind es nicht wir, der übernatürliche Kräfte an sich entdeckt, sondern unser kleiner Bruder. Diese werden im Spielverlauf durch Training immer stärker und bedrohlicher und nicht selten müssen wir Daniel daran erinnern, dass er sich nicht verplappert, oder seine Fähigkeiten falsch einsetzt. Aber was ist der richtige Erziehungsstil? Soll Sean ihn maßregeln oder eher für sein Glück sorgen? Soll er ihm verbieten, seine Kräfte zu nutzen, oder sie zu ihrem Vorteil einsetzen? Für Seans Verarbeitung der Erlebnisse und seine Wünsche gibt es wenig Raum. Als großer Bruder gilt es stets dafür zu sorgen, dass es Daniel gut geht.

Life is Strange 2 erzählt auf wundervolle Weise von der emotionalen Flucht zweier Brüder. In jeder Episode trifft man auf neue Orte, interessante Lebensgeschichten anderer Aussteiger und muss als großer Bruder schwierige Entscheidungen treffen und dabei das eigene Glück hinten anstellen. In jeder Episode habe ich mit den beiden gelitten und wollte alles tun, damit sie ihr Ziel erreichen. Die zahlreichen Schauplätze von den grünen Wäldern Washingtons bis hin zu der verlassenen Wüste Arizonas wurden fantastisch visualisiert. Während ich das wunderbar illustrierte Reisetagebuch durchblätterte, kam es mir immer wieder so vor, als hätte ich selbst diese Abenteuer in Amerika erlebt. Visuell muss sich die Nintendo Switch-Version nicht verstecken. Seine Stärken hat das Spiel jedoch im Dock, da die Auflösung im Handheld-Modus gewohnt etwas nach unten gedreht wird – schade eigentlich. Das sollte euch vom Kauf aber keineswegs abhalten, da es dennoch eine gute Figur abgibt.

Störender fand ich eher, dass es im gesamten Durchlauf zwei Abstürze der Nintendo Switch OLED gab, die aber zum Glück nicht weiter dramatisch waren. Life is Strange 2 speichert regelmäßig automatisch ab, es ging also kein Spielfortschritt verloren. Darüber hinaus verschwand aus unerklärlichen Gründen der deutsche Untertitel manchmal und tauchte erst in der nächsten Szene wieder auf. Da ich aber Englisch verstehe, war das für mich nicht weiter schlimm, sollte allerdings unbedingt behoben werden. Ebenso gibt es leider für Gespräche die im Hintergrund stattfinden keine Untertitel, dabei ist das manchmal durchaus ein wenig spannend diesen zu lauschen, um mehr über die Welt und Charaktere zu erfahren.

Schade ist auch, dass die Geschichte hin und wieder zu überhastet erzählt wird und man versucht hat zu viele große Themen wie Rassismus, Homophobie oder Religion unterzubringen, die oft nicht genug Raum bekommen.

So gibt es Momente wie in Episode 3, in denen die Brüder auf einer Marihuana-Farm anheuern und auf weitere Aussteiger treffen, die alle ebenfalls harte Schicksale durchleben mussten. Life is Strange 2 schafft es immer wieder diese gemütlichen und gleichzeitig sehr bedeutsamen Momente zu inszenieren, in denen man mit interessanten Leuten am Feuer sitzt und ihren Geschichten lauscht. Dann wirkt die Welt endlich nicht mehr so kalt, die Reise nicht ganz so aussichtslos. Doch selbst in diesen schönen Momenten wird Sean immer wieder daran erinnert, dass er stets die Rolle des Erwachsenen einnehmen und sich der Frage stellen muss, ob er jetzt am Joint ziehen soll. Ich habe mich dagegen entschieden.

Ich wollte ein guter großer Bruder sein. Aber ebenso wie Sean einen großen Einfluss auf Daniel nimmt, können wir auch das Leben von Sean maßgeblich beeinflussen. Gehen wir auf das Sex-Angebot einer hübschen Frau ein oder küssen wir einen jungen Mann? Unsere Entscheidung!

Interaktives Buch oder abgespecktes Videospiel?

In Life is Strange 2 werden wir überwiegend zum zuhören verdonnert. Zu großen Teilen sitzt man einfach nur gebannt vor dem Fernseher und schaut was passiert. Sobald man dann doch mal wieder die Steuerung erlangt, kann Gegenstände untersuchen, Souvenirs finden, eine Skulptur zusammensetzen oder wir lassen Sean in einem Moment der Ruhe ein tolles Bild der Umgebung oder anderer Charaktere zeichnen. Während wir den Charakter von Daniel formen, wird dieser uns immer mal wieder aus der Patsche helfen und manchmal auch den Weg freiräumen müssen. Letzteres kann emotional sehr aufreibend sein, das dürft ihr aber selbst herausfinden.

Schön war es, Life is Strange 2 am Stück spielen zu können, ohne monatelang auf die nächste Episode warten zu müssen. Dass die Entwickler sehr viel in zu kurzer Zeit erzählen wollten, merkt man hin und wieder aber leider deutlich: Es gibt einige stereotype Charaktere, die aus dem Nichts erscheinen und wichtige Themen wie Konversionstherapie oder Rassismus werden nur kurz angeschnitten, um direkt wieder zu verschwinden. 

Alles in allem bin ich aber dankbar über die Bereitstellung des Testmusters und darüber, dass ich das Spiel nach all den Jahren endlich nachholen konnte. Solltet ihr noch keinen Teil der Reihe gespielt haben, würde ich aber zunächst Life is Strange: True Colors empfehlen. Unseren Spieletest dazu findet ihr hier bei Nintendo Connect!

Life is Strange 2
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Der Kern der Geschichte: Die familiäre Verbindung der Brüder und die persönliche Verantwortung für einen Menschen, haben mich richtig gut unterhalten.
Der Kern der Geschichte: Die familiäre Verbindung der Brüder und die persönliche Verantwortung für einen Menschen, haben mich richtig gut unterhalten.
83/100
Total Score

Pro

  • Grafisch schöne Umsetzung für Nintendo Switch
  • Gute (englische) Sprachausgabe

Contra

  • Technisch kleinere Probleme
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