Erst ein geheimer, spielbarer Level im Hauptspiel Bayonetta 3 (-> unser Spieletest), nun ein überraschender vollwertiger Ableger der Bayonetta IP: In Bayonetta Origins: Cereza and the Lost Demon schlüpfen wir einmal mehr in die Rolle der Serien namensgebenden Hexe Bayonetta. Nur dieses Mal steuern wir nicht die abgebrühte, erwachsene Lady, sondern ihre Kindheitsform mit dem Namen Cereza.
Kann sich das Spin-Off neben der Hauptreihe beweisen? Das wird unser Test zeigen!
Andere Zeiten, andere Welten
In Bayonetta Origins ändert sich nicht nur unser spielbarer Charakter. Grafikstil, als auch Gameplay unterscheiden sich recht stark von der Hauptreihe.
Das Offensichtlichste zuerst: Die Darstellung der Welt. Optisch bekommen wir hier eine alles andere als eine typische, realistische Bayonetta-Grafik präsentiert, sondern vielmehr ein malerisches, märchenhaft abstraktes Gemälde. Zugegeben, ich selbst musste mich erst damit anfreunden und war zu Beginn kein großer Fan davon. Kevin hingegen war vom Stil des Spiels gleich angetan. Aber nach einiger Spielzeit konnte auch ich mich an den Stil gewöhnen und kann ihm inzwischen sogar etwas abgewinnen, da es auch sehr stimmungsvolle und hübsche Szenen zu bestaunen gibt.
Davon ab, passt der Stil einfach hervorragend zur Geschichte und zu dem, was Platinum Games in diesem Spiel ausdrücken will: Das Märchenhafte!
Man fühlt sich wirklich wie in einem Märchen mit einer guten, jungen Hexe und ihrer Abenteuerreise. Und dennoch bemerkt man die eigentliche Herkunft des Spiels aus dem Bayonetta Universum.
Die Story ist dabei ähnlich in Szene gesetzt wie in früheren Bayonetta Spielen. Sie wird in quasi Standbildern erzählt mit leichten Animationen. Dabei wird jede Szene als eine Seite in einem Buch dargestellt, die es für die nächste Szene umzublättern gilt. Kleiner Kritikpunkt an dieser Stelle: Nach dem Ende einer Szene deutet eine Animation auf der rechten, unteren Seite des Bildschirms darauf hin, dass man nun Umblättern kann. Gerade im Handheldmodus wirkt es mehr als verlockend dies einfach über den Touchscreen zu tun, leider ist es aber nur per Knopfdruck möglich… Vertane Chance, Platinum Games!
So gut und passend diese Erzählweise auch inszeniert ist, will sie mir aber nicht vollends gefallen, war ich doch in Bayonetta 3 so froh, dass man sich endlich von statischen Szenenbildern in der Erzählung abgewandt hatte und stattdessen auf typische, durchgehend animierte Szenerien setzte.
Aber dies ist eine persönliche Präferenz und wie erwähnt, ist der Still in sich sehr stimmig und passend. Es ergibt also durchaus ein stimmiges und durchdachtes Gesamtbild.
Die Story selbst ist übrigens durchaus interessant, erfährt man doch einiges über Bayonettas Anfangszeit und erste Schritte als angehende Hexe.
Viele Rätsel, aber trotzdem Bayonetta Action?
Der nächste große Unterschied zum typischen Bayonetta-Spiel ist das Gameplay. Setzt die Hauptreihe doch durchgehend auf over the top inszenierte Action und Kampfsequenzen, hält sich Bayonetta Origins hier dezent zurück.
Der Fokus des Spiels liegt vor allem auf der Erkundung der Märchenwelt, respektive des verbotenen Waldes, in den es Cereza verschlägt, gepaart mit Metroidvania Elementen. So erlernt Cereza im Verlauf des Spiels einige neue Fähigkeiten, mit denen sie neue Pfade auf alten Wegen beschreiten kann.
Aber Action bzw. Kampfsequenzen wurden nicht vollends aus der Formel gestrichen. So gelingt Cereza zu Beginn des Spiels die erste Beschwörung eines Dämons, den sie in ihr Plüschtier bannt. Hierbei handelt es sich um keinen geringeren Dämon, als Cheshire, die aus Bayonetta 3 bekannte Grinsekatze, die dort noch von Bayonetta Neuzugang Viola beschworen wurde. Zufall? Wohl kaum! Eher eine sehr interessante und sinnige Verbindung.
Dabei können Cereza und Cheshire das Spiel über stets einzeln gesteuert werden und zwar jeweils mit nur einem Joypad, was zum Teil ein wenig tricky sein kann, da beide Figuren gleichzeitig bewegt werden können und spätestens in Kämpfen auch müssen.
Cereza selbst ist im Kampf dabei noch relativ unbeholfen und außer einem Zauber, mit dem sie Gegner kurzzeitig lähmen kann, trägt sie nicht viel bei, kann aber dennoch von Gegnern angegriffen werden! Aber Cheshire eilt dann gesteuert von der rechten Hand zur Hilfe, um die Gegner anzugreifen und von Cereza fernzuhalten.
Die Kämpfe fühlen sich somit ein wenig wie eine Kombination aus typischem Bayonetta Gameplay und dem von Viola aus Teil drei an und können auch durchaus fordernd und spaßig sein.
Verschiedene Gegner und damit einhergehende, anzupassende Strategien tun dabei ihr Übriges.
Neben der individuellen Steuerung der beiden Charaktere, ist es aber auch möglich, nur Cereza zu steuern, während sie Cheshire in Puppenform mit sich herumträgt, was das allgemeine Durchlaufen der Welt entspannter macht und außerdem bei entsprechend gewähltem Talent (später mehr dazu) einen Geschwindigkeitsschub spendiert.
Abgesehen davon, kann sie Cheshire so auch auf Vorsprünge werfen, wo der dicke Dämon sonst aus eigener Kraft nicht hinaufkommen würde. Somit werden auch Passagen geschaffen, in denen man den Fokus nur auf eine Figur legen muss, um das Weiterkommen der anderen zu gewährleisten.
Was gibt es noch zu tun?
Neben dem Fortschreiten in der Story bietet Bayonetta Origins zwei kleine, charmante Skillbäume für Cereza, als auch Cheshire, um deren Fähigketisrepertoire sinnvoll zu erweitern und zu verbessern. Diese geben den anfangs noch sehr simplen Kämpfen durchaus ein gutes Stück an Tiefe und Abwechslung mit dazu, als auch eine gewisse Herausforderung, diese neuen Techniken zu meistern.
Zudem gibt es überall im Zauberwald sammelbare Items für rudimentäres Crafting von Heil- oder Supportgegenständen, wie man es von Bayonetta im Grunde kennt.
Auch gibt es mit den Tir Na Nog Welten noch Herausforderungsportale. (“Mystic Knights, have come to save your lives…” muss noch jemand an diese Serie aka Power Ranger im Mittelalter denken, beim Lesen von Tir Na Nog?) Diese entsprechen quasi den Alfheim, Muspelheim oder Nilfheim Portalen der Hauptserie, nur mit einem zum Teil größeren Fokus auf Rätsel. Am Ende winkt dann eine Belohnung in Form eines von fünf Blütenblättern, um Cerezas Lebensanzeige zu dauerhaft steigern.
Auffällig: Während diese Herausforderungen im Hauptspiel an die nordische Mythologie angelehnt waren, bezieht man sich hier mehr auf die englisch, keltische Folklore und Märchen. Dieses Muster zieht sich durch das gesamte Spiel: Tir Na Nog, Elfen/Feen, der Wald von Avalon, eine Hexe namens Morgana und nicht zuletzt wirkt das Ganze Spiel wie eine Art Alice im Wunderland. Das junge Mädchen, das mit seiner Grinsekatze einem weißen Wolf (statt eines Kaninchens) hinterherjagt.
Für mich klar ein Pluspunkt des Spiels, da ich es immer gern sehe, wenn solche Details irgendwie in Spiele eingebunden und neu interpretiert werden. Vor allem aber, sieht man anhand dieser Details erneut das stimmungsvolle und durchdachte Konzept des Spiels.
Ansonsten kann man neben den Erweiterungen für Cerezas Lebenskraft auch wie gehabt ihre Magiekapazität erhöhen.
Cheshire wiederum wird durch das Fortschreiten in der Story zu neuen Formen und damit einhergehenden neuen Fähigkeiten verholfen, etwa das Verwandeln in einen Holzkörper, mit dem dann neue Wege freigelegt und Rätsel gelöst werden können.
Ein kleiner Wermutstropfen: Speichern ist nur an Speicherpunkten möglich, die bei jedem Lager zu finden sind, indem Cereza und Cheshire auch ihre Talentbäume bearbeiten können und an vereinzelten Stellen auf der Karte, etwa an Eingängen von Tir Na Nog.
An Speicherpunkten ist es übrigens auch möglich, Zaubertränke zu brauen und bereits absolvierte Tir Na Nog Prüfungen erneut zu bestreiten, falls man dort Items übersehen hat, oder um im Kampf gegen die Zeit eine neue Herausforderung anzugehen.
Und ein kleiner, aber interessanter Aspekt des Spiels allgemein dürfte sein, dass man ihn bedingt auch im Coop spielen kann, ähnlich wie der erst neulich von mir getestete Titel Blanc (-> unser Spieletest). Ich selbst hatte zwar keine Möglichkeit das zu testen, es dürfte aber durchaus eine Überlegung wert sein. Jeder Spielende nimmt dabei einen Joy-Con.
Ein Märchen zum Leben erwacht?
Bayonetta Origins: Cereza and the Lost Demon bedient aufgrund der Präsentation und der Handlung alteingesessene Bayonetta Fans, als auch IP fremde Spieler, die eher Adventures spielen, Rätsel lösen und in geheimnisvolle Welten eintauchen.
Auch wenn mich der Titel nicht zu hundert Prozent mitreißen konnte, bietet er dennoch ein sehr schönes und stimmungsvolles Gesamtbild. Ein spielbares Märchen eben, in das man ein wenig abtauchen und – ich möchte fast sagen – die Seele etwas baumeln lassen kann. Sofern man die doch recht präsenten Kämpfe etwas ausblendet, wohlgemerkt.
Die Gameplaymechaniken sitzen und greifen sehr gut ineinander. Und generell ist es sehr schön und begrüßenswert, dass ein Entwickler mit einer etablierten IP auch einmal diesen mutigen Sprung in ganz andere Gefilde wagt. Mut zur Veränderung hat heute bei Weitem nicht jeder. Dabei dann noch ein gutes Spiel zu entwickeln, gelingt noch seltener.
Pro
- Märchenhafte Optik…
- Stimmungsvolle und durchdachte Präsentation
- Abwechslungsreiche Kämpfe und Rätsel
- Interessante Mechaniken
Contra
- …die eventuell etwas Gewöhnung bedarf
- Zwischensequenzen in quasi starrer Bildvorlage
- Etwas zäher Einstieg